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Es gibt bereits einen neuen Kolonialismus in Benin


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Eine Museumsmitarbeiterin verpackt eine der Benin-Bronzen.

Eine Museumsmitarbeiterin verpackt eine der Benin-Bronzen. © dpa

Noch nie ist ein politisches Manöver nigerianischer Innenpolitik bei uns so engagiert diskutiert worden. Was folgt aus der Rückgabe-Debatte?

Frankfurt - Es hätte alles so schön einfach sein können. Mehr als 100 Jahre, nachdem die von der britischen Kolonialmacht geraubten Bronzen aus dem Königreich Benin über den Kunsthandel in deutsche Museen gelangt waren, hat die Bundesregierung sie Ende letzten Jahres feierlich an Nigeria zurückgegeben. Ein Akt nachholender Gerechtigkeit, der zugleich das Signal zu einem Wandel des Umgangs mit Kunst aus kolonialen Kontexten aussendet.

So gesehen wirken die Reaktionen auf die Ankündigung des in Kürze aus seinem Amt scheidenden nigerianischen Staatspräsidenten Muhammadu Buhari, die restituierten Werke dem Oba von Benin, einem Nachfahren des auf dem nigerianischen Staatsgebiet befindlichen einstigen Königreichs, zu überlassen, erstaunlich heftig. Über den Tisch gezogen, gescheitert, düpiert – plötzlich scheint die Geschichte und Bedeutung der Benin-Bronzen, mit der bis vor nicht allzu langer Zeit ausschließlich Ethnologen und Kunsthistoriker befasst waren, eine Angelegenheit von nationalem Belang. Tatsächlich würde die Schenkung an den Oba ganz andere Voraussetzungen für die zukünftige Präsentation der Bronzen schaffen.

Was aus Benin-Bronzen wird, wenn sie in den Privatbesitz des Oba übergehen, ist ungewiss

VIDEO: Raubkunst: Neue Debatte um die Benin-Bronzen | Westart | WDR
WDR

Ohne eigens Bedingungen an die Übergabe an Nigeria geknüpft zu haben, sind Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth davon ausgegangen, dass die Preziosen künftig im Edo Museum of Western African Art zu sehen sein werden, dessen Bau von Deutschland mit vier Millionen Euro unterstützt wird. Was aus ihnen wird, wenn sie in den Privatbesitz des Oba übergehen, ist ungewiss. Noch nie zuvor ist ein politisches Manöver der nigerianischen Innenpolitik von Deutschland aus derart mit Aufmerksamkeit bedacht worden. Selbst die fünf Jahre andauernde mörderische Diktatur des Generals Sani Abacha schaffte es Mitte der 90er Jahre nur in die Randspalten und Auslandsjournale.

Die jetzt vielfach vertretene Haltung, dass es den Empfängern überlassen bleiben solle, wie sie mit dem wiedererlangten Raubgut umzugehen gedenken, wird von dem Eindruck begleitet, die Angelegenheit nicht allzu wichtig zu nehmen. Dabei würde es sich lohnen, die Geschichte der Benin-Bronzen und die mit ihnen verbundenen politischen Bezüge und Interessen in allen Einzelheiten als Blaupause für die postkoloniale Konstellation zu betrachten. Lernen ließe sich dabei, dass Rückgaben, vor allem aber auch die Übernahme einer staatlichen Verantwortung für koloniale Verbrechen, nicht der symbolische Abschluss historischer Entwicklungen sind, sondern der Beginn sich verändernder Beziehungen. Dazu gehört die mitunter ernüchternde Erkenntnis einer immer stärker betriebenen Identitätspolitik auf allen Seiten.

Benin-Bronzen: Es gibt keinen Nullpunkt

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Für den Oba von Benin bietet die Rückkehr der Bronzen auch die Gelegenheit, die Deutungshoheit über die Opfergeschichte des von den Briten zerstörten Königreichs zu erlangen und die Tätergeschichte des Regimes seiner Vorfahren, die von einem systematisch betriebenen Sklavenhandel profitiert haben, zum Verschwinden zu bringen. Dass dies nicht gelingen wird, ist auch das Verdienst der in den USA agierenden Restitution Study Group, die als Nachfahren der von Benin verschleppten Sklaven zumindest Teile der Bronzen für sich beanspruchen. Was zunächst als schwer zu durchschauende Gemengelage erscheint, macht deutlich, dass es keinen Nullpunkt der Geschichte gibt, an den man glaubt, zurückkehren zu können, um einmal begangenes Unrecht zu heilen.

Die Forderungen nach Rückgabe der Benin-Bronzen sind fast 100 Jahre alt. Dass sie nun vollzogen wurden, ist das Ergebnis eines neuen Verständnisses postkolonialer Verantwortung, das nicht frei von Fehlschlüssen ist. Einer besteht in der aktivistisch forcierten Annahme, dass Europa angesichts seiner langen Gewaltgeschichte jegliche Form von Interessenpolitik verwirkt habe und nun eine umfassende Dekolonisierung erfolgen müsse.

Richtig ist daran der Impuls, die brutale Geschichte des Kolonialismus in all ihren Facetten zu erzählen. Bei der Bearbeitung des europäischen Schuldbewusstseins sollte jedoch nicht übersehen werden, dass China und Russland mit wirtschaftlichen und technologischen Investitionen dabei sind, insbesondere auf Afrika einen gesteigerten Kolonisationsdruck auszuüben. Bei der Rückgabe von Artefakten kann es nicht allein darum gehen, historisch quitt zu werden. Vielmehr geht es um die Schaffung von Voraussetzungen für eine emanzipative Zusammenarbeit, bei der nationale oder partikulare Interessen überwunden werden müssen, um das kulturelle Erbe der Menschheit zu bewahren und politische Gestaltungsfreiheit gegen imperiale Interessen zu verteidigen. (Harry Nutt)

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Author: Michael Rogers

Last Updated: 1703173803

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